Stille

Stille

Im hohen Norden wo die Finsternis erst nach Monaten sehr kurzen Tagen weicht, war ein junges Lamm, auf der Suche nach Nahrung und Wärme.
Gut getarnt im Dunkel, war das weiße Fell, im weißen Schnee, im Mondschein, nur die großen Augen schwarz und leer. Weich war sein Fell, wie der frische Schnee und rein war seine Seele, wie Quellwasser aus den tiefsten Felsen dieser Erde.
Das Lamm war dünn und von der Kälte fest umschlungen, setzte mühsam Huf um Huf durch klirrend Eis. Die Mutter längst erfroren, Geschwister in der Nacht verschluckt. Der Mond reiste mit dem Lamm langsam übers Land, bis die Wolken ihn bedeckten und das letzte Licht versteckten.
Kalte Schnauzen tauchten tief durchs Dunkel und rochen zartes Fleisch. Das Rudel hetzte zusammen in der Nacht, jagte zusammen, fraß zusammen, schlief zusammen. Wölfe heulten, rannten laut auf kaltem Laub, bis sie das Lamm erreichten, weich und weiß und zart, wie es still im Schnee verharrte. Die Wölfin, Herrin ihres Rudels nahm es schnell in ihre Schnauze, bevor ein Zahn der Ihren, sich in Unschuld bohren konnte. Einsam und auch kalt, war das Lamm gewesen, doch nun brannte heiß das kleine Herz in seiner Brust. Die Angst vorm Tod, sie war schon fast zur Freundin Ihm geworden, hatte es begleitet, hatte es nicht losgelassen. Des Rudels Hunger war zum Greifen nah, doch keiner stellte sich der Wölfin in den Weg. Die Meute drängte weiter, jagte, fraß. Unversehrt das weiche Fell des Lamms, als sich das Rudel schlafen legte. Sicher war das Lamm und warm und nicht allein, zwischen den Tatzen einer weisen Wölfin, die alles sah im Lamm außer nur ein Lamm. Die großen schwarzen Augen wurden müde und erschöpft fiel das Lamm in tiefen Schlaf und träumte von der Mutter, den Geschwistern, die auf weiten Wiesen tollten.
Als es erwachte, lag es eng am Fell der Wölfin die sich reckte, streckte, lautlos blanke Zähne bleckte. Dunkel war es, warm und weich. Die Höhle und Geruch von Heu, rief ihm den Hunger jäh zurück. Das Lamm schnupperte mit weicher Nase, dass sein Bett aus Heu beschaffen war. Es begann sofort davon zu zehren. Die Wölfe um es rings herum sahen spöttisch nach dem Lamm, mit Verachtung in den Blicken. Die weise Wölfin knurrte leise und fort war jeder Spott und jeder Zorn. Von nun an war das Lamm ein Teil des Rudels. Geleitet von der Königin der Nacht die ihm alles beigebracht, was die Dunkelheit verbirgt. Es lernte wie man lautlos jagt, wie man durchs Unterholz hetzt als wär man der Wind selbst, den Mond anheult, ihm dankbar ist, für jedes schwache Licht was er verschenkt. Die Nächte zogen schnell vorbei und das Lamm ward jeden Mond aufs Neue mehr zum Wolf geboren. Es hetzte, jagte, fraß, und schlief. Der Tag kam, da träumte es nicht mehr von der, die es zur Welt gebracht, den Schwestern und den Brüdern, die ihr einst so sehr vertraut, sondern träumte von der Nacht und von der Jagd mit seinem Rudel. Es flog leichtfüßiger durch Schnee und Laub, als je ein Wolf zuvor.
In einer Nacht zog es das Rudel, während der Jagd, zu einer Menschensiedlung hin. Der Geruch nach Fleisch war stark und wunderbar und lockte die Wölfe dichter an die Siedlung, als ihr Instinkt es bisher zugelassen hatte. Die Menschen hatten wilde Schweine auf der Jagd erbeutet und ließen diese aufgehängt ausbluten. Als einer von den jungen Wölfen, getrieben vom Geruch von Blut, sich nah an die Kadaver schlich, waren laute Schreie in der Luft und Menschenkinder kamen. Sie riefen, brüllten und bewarfen die Besucher mit Steinen und mit Wut. Wider Willen und gegen den Geruch von frischem Blut kehrten die Wölfe um und dem Festmahl ihren Rücken zu. Als ein lauter Knall ertönte, einer der Wölfe jäh zusammenzuckte und dann zitternd, alsbald schlaff zu Boden sank. Jetzt flüchtete das Rudel und alle bangten um ihr Leben. Beine flogen durch das Dickicht, flogen über umgekippte Bäume, schienen schnell in wildem Takt über Eis und Schnee zu tanzen, tauchten tief durch hohe Berge, tiefe Täler voller Laub und Holz.
Als sie die Höhle dann erreichten, war die Trauer groß um ihren jungen Bruder. Um sich gegenseitig Trost zu spenden lagen sie aus Trauer, Wut und Zorn alle beieinander. Das Lamm schlief fest am Fell der Wölfin, tief in einen Traum versenkt. Es träumte von der Jagd, vom Lauern in der Nacht, von ihrem Bruder der zwar umgebracht, doch dennoch mit ihr jagte.
Plötzlich drängte sich ein Bellen, laut in seinen Traum hinein, woraufhin das Lamm erwachte. Die Menschen waren da, mit Hunden und mit Feuer, warfen Fackeln in die Höhle und stachen fest entschlossen, mit langen Lanzen auf das Rudel. Die Wölfe überrascht, geblendet ihre Augen und in der Schnauze weißer Rauch. Kein Kampf war ihnen möglich. Nach den Leben dieser Wölfe, erloschen auch die Fackeln und alle Wärme war verflogen.
Noch in derselben Nacht kam Nebel auf im Heim der Menschen und ein klagend Lied erklang, mit einer Stimme zart wie Federn die langsam auf den Frischschnee fallen. Die Kinder dieser Siedlung sprachen oft vom weißen Wolf, den sie nachts im Nebel sahen. Seit dieser Nacht ganz tief im Wald, kann man zartklagenden Gesang vernehmen, der den ganzen Wald erhellt, wenn erneut ein Wolf, der Angst vom Mensch zum Opfer fällt.